Wiebke Hölzer. Fritz Ascher. Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), vol. 38, Nordhausen: Verlag Traugott Bautz GmbH. pp. 66-71

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Geboren am 17.10.1893 in Berlin, gestorben am 26.03.1970 in Berlin; expressionistischer Maler und Grafiker, Dichter. Er wuchs als Sohn der jüdisch assimilierten Eltern Hugo Ascher (27.7.1859-18.08.1922) und Minna Luise Ascher, geb. Schneider (17.01.1867-17.10.1938) zusammen mit seinen zwei jüngeren Schwestern Charlotte (08.10.1894-06.12.1978) und Margarete (11.06.1897-15.01.1973) auf. 1899 trat Hugo Ascher mit seinen Kindern aus dem Judentum aus und ließ Fritz 1901 evangelisch taufen. Sein Vater war durch die Entwicklung von künstlichem Zahnschmelz zu Wohlstand gekommen und konnte somit Wohnungen in der Friedrichstraße und der Jägerstraße und später den Bau einer Villa in der Niklasstraße in Zehlendorf finanzieren. 1909 besuchte Ascher — durch das „Künstlereinjährige“ von Max Liebermann gefördert — die Kunstakademie in Königsberg. Danach lernte er an den Mal- und Zeichenschulen von Lovis Corinth, Adolf Meyer und Curt Agthe in Berlin. Für Studienzwecke reiste er darüber hinaus nach Bayern und Norwegen. 1922 und 1924 nahm er an der Berliner Juryfreien Kunstschau teil. Zeichnungen zu Gerhard Hauptmanns „Die Weber“, Shakespeares „König Johann“, E.T.A. Hoffmanns „Der goldene Topf“ und Strindbergs „Inferno“ sowie zu Ruggero Leoncavallos Oper „Bajazzo“ zeugen von seinem Interesse für die blühende Unterhaltungskultur. Aber auch religiöse, mythologische und spirituelle Themen griff er auf, wie die Gemälde „Golgatha“ (1915) und „Der Golem“ (1916) beweisen. Charakteristisch für sein Frühwerk sind expressive, teils kontrastreich verwendete Farben und eine Begrenzung der Formen durch starke Umrisslinien. Vor allem den menschlichen Körper wählte Ascher immer wieder als Sujet, um mit Mimik und Gestik zu experimentieren. Außerdem begann er kurz vor der Machtergreifung Hitlers 1933, lithographische Mappen anzufertigen, die jedoch über Probedrucke nicht hinausgingen. Die Nationalsozialisten diffamierten Ascher als „entarteten“ Künstler, woraufhin er begann, literarisch seine Gedanken zu fassen. Er schilderte die veränderte Situation in seinem Antrag auf Wiedergutmachung (Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Abteilung I, Entschädigungsbehörde Berlin, Reg.-Nr. 2060) nach dem Zweiten Weltkrieg wie folgt: „Meine Tätigkeit als Kunstmaler — ich galt als Expressionist […] wurde jäh durch das Aufkommen des Nationalsozialismus unterbrochen, da man mir vorwarf, zu den sogenannten entarteten Künstlern zu zählen. Darüber hinaus setzte die Nazi-Verfolgung auch gegen meine Person schon im Jahr 1934 ein, so daß ich bereits in diesem Jahre meine Wohnung in Zehlendorf verlassen mußte und mich praktisch seit dieser Zeit, wenn auch nicht versteckt, so doch regelmäßig an wechselnden Orten aufhielt, weil ich vor den Anfeindungen und evtl. Verfolgungen Angst hatte.“ In der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde er verhaftet und in das KZ Sachsenhausen gebracht. Am 23. Dezember desselben Jahres wurde er entlassen und wenig später im Polizeigefängnis in Potsdam inhaftiert. Durch die Bemühungen des Anwaltes Gerhard Grassmann und des Probstes Heinrich Grüber wurde er am 15. Mai 1939 entlassen. Am 15.06.1942 warnte ihn der Polizeihauptwachmeister Heinrich Wolber vor der bevorstehenden Deportation. Ascher tauchte durch die Unterstützung seiner Helferin und langjährigen Freundin der Familie Martha Grassmann in der Lassenstraße 26 im Grunewald bei Berlin unter und überlebte so das Nazi-Regime. Die Zeit im Versteck und die dauerhafte Gefahr, entdeckt zu werden, hatten schwere Folgen für Aschers gesundheitlichen Zustand. Nach Kriegsende lebte er zurückgezogen mit Frau Grassmann in einer Wohnung in der Bismarckallee 26. Ein Angebot als Lehrer für bildende Kunst lehnte er ab. Durch seine Menschenscheu und die intensive Bindung an seine Werke nahm er nur an drei Ausstellungen teil (1946 Galerie Karl Buchholz, 1947 Kunstamt Wilmersdorf, 1969 Galerie Springer). In seinen Arbeiten bezog er sich motivisch größtenteils auf die ihn umgebende Natur, die er auf seinen langen Spaziergängen im nahe gelegenen Grunewald entdeckte. Mit intensiven Farben und einer expressiven Pinselführung brachte er seine Eindrücke auf Papier und Leinwand. Vor allem bei den Gemälden verzichtete er auf eine starke Konturierung, sodass fließende Übergänge entstehen und die Werke teils abstrakt anmuten. Die Fritz Ascher Society for Persecuted, Ostracized and Banned Art, Inc. arbeitet seit 2014 das künstlerische Schaffen des fast vollkommen in Vergessenheit geratenen Malers auf und organisierte die Wanderausstellung „Leben ist Glühn“.

Werke (Auswahl):

Porträt Max Liebermann, ca. 1910, Mischtechnik auf Papier, 21,3 x 18,4 cm, Privatsammlung

Der Intrigant, 1913, Schwarze Tusche über Grafit auf Papier, 22,5 x 14,2 cm, Privatsammlung

Der Vereinsamte, ca. 1914, Öl auf Leinwand, 120 x 95 cm, Privatsammlung

Golgatha, 1915, Öl auf Leinwand, 135,5 x 175 cm, Privatsammlung

Golem, 1916, Öl auf Leinwand, 140,5 x 182,5 cm, Jüdisches Museum Berlin (GEM 9320)

Bajazzo und Artisten, ca. 1916, Öl auf Leinwand, 120 x 93 cm, Privatsammlung

Zwei Boxer, 1916, Mischtechnik auf Papier, 31 x 43,5 cm, Privatsammlung

Novemberrevolution, 1918, Grafit auf Papier, Privatsammlung

Selbstporträt, 1920er, Öl auf Leinwand, 65 x 54 cm, Privatsammlung

Der Gequälte, 1920er, Öl auf Leinwand, 149 x 200 cm, Privatsammlung

Trauernde bei einer Beerdigung, 1922, Lithographie, 39,1 x 32 cm, Privatsammlung

Beethoven, 1924, Öl auf Leinwand, 97,5 x 119 cm, Privatsammlung

Johannes der Täufer, 1945, Öl auf Leinwand, 60,5 x 50,5 cm, Privatsammlung

Kreuz (Selbstmörderfriedhof Grunewald), ca. 1957, Mischtechnik auf Papier, 32,3 x 39,2 cm, Privatsammlung

Baum, ca. 1958, Mischtechnik auf Papier, Leo Baeck Institute New York (2011.23)

Sonnenblumen, 1958, Öl auf Leinwand, 80 x 70 cm, Privatsammlung

Baum, ca. 1959, Gouache auf Papier, 62.4 x. 44.6 cm, Leo Baeck Institute New York (2011.24)

Goldregen, ca. 1959, Öl auf Leinwand, 65 x 70 cm, Privatsammlung

Untergehende Sonne, ca. 1960, Öl auf Leinwand, 125 x 126 cm, Privatsammlung

Jagdschloss Grunewald, ca. 1963, Mischtechnik auf Papier, 51,5 x 45 cm, Privatsammlung

Zwei Bäume, ca. 1963, Mischtechnik auf Papier, 65.7 x 43 cm, Leo Baeck Institute New York (2011.25)

Porträt von Max Pechstein, ca. 1963, Schwarze Tusche auf Papier, 40 x 29, 5 cm, Privatsammlung

Sonnenuntergang mit Bäumen, ca. 1963, Mischtechnik auf Papier, 66 x 45.1 cm, Kunstsammlung des Deutschen Bundestages

Bäume in hügeliger Landschaft, 1968, Öl auf Leinwand, 70 x 80 cm, Privatsammlung

Literatur:

Wiebke Hölzer, Religiös? Kontextualisierung der Gemälde ‘Golgatha’ (1915) und ‘Der Golem’ (1916 des Künstlers Fritz Ascher (1893-1970) / Religious? Contextualization of the paintings “Golgotha“ (1915) and “The Golem“ (1916) by the artist Fritz Ascher (1893-1970), Masterarbeit Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2016.

Andreas Mink, “Der Expressionist Fritz Ascher in Osnabrück”, in Tachles online, 22 September 2016.

“Leben ist Glühn” Der Expressionist Fritz Ascher / “To Live is to Blaze with Passion” The Expressionist Fritz Ascher, Hrsg. Rachel Stern and Ori Z. Soltes for The Fritz Ascher Society for Persecuted, Ostracized and Banned Art, Inc., Cat. exh./Ausstellungskatalog Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück (September 25 2016 – January 15, 2017), Kunstsammlungen Chemnitz MUSEUM GUNZENHAUSER, Chemnitz (March 5 – June 18, 2017), Museum Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim, Berlin (December 8, 2017 – March 11, 2018), Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte, Potsdam (December 10, 2017 – March 11, 2018), Cologne 2016.

Golem, Hrsg. Emily Bilski und Martina Lüdicke im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin, Ausstellungskatalog Jüdisches Museum Berlin, 23. September 2016 – 29. Januar 2017, Bielefeld/Berlin 2016, S. 133.

Ori Z. Soltes, Tradition and Transformation. Three Millenia of Jewish Arts and Architecture, Boulder, CO: Canal Street Studios 2016. S. 165, 303.

Rachel Stern, “Fritz Ascher. Unterbrechung künstlerischen Schaffens”, in: Verfahren. “Wiedergutmachung” im geteilten Berlin, Hrsg. Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Ausstellungskatalog Aktives Museum Berlin (9. Oktober bis 31. Dezember 2015) und Landgericht Berlin/Amtsgericht Mitte, Berlin (29. September – 18. November 2016), Berlin 2015, S. 48-53.

Ori Z. Soltes, “Fritz Ascher: From Golems to Landscapes”, in plundered art, 12 January 2015.

Cathryn J. Prince, “If not for the Nazis, he may have been the next Leonardo”, in The Times of Israel, 17 December 2014.

Andreas Mink, “Fritz Ascher Society gegründet”, in Tachles, 29 October 2014.

Zerstörte Vielfalt. Diversity Destroyed. Berlin 1933-1938-1945. Eine Stadt erinnert sich. A City Remembers, Hrsg. Moritz van Dülmen, Wolf Kühnelt und Bjoern Weigel, Kulturprojekte Berlin, Berlin 2013, S. 271.

Heide Schoenemann, “Paul Wegener. Frühe Moderne im Film”, Stuttgart and London 2003, S. 101 (Nr. 232 “Der Golem”), 136, 142.

Daniel Schifrin, “Ascher Lives”, in The Jewish Week, no. 9, New York, 29. März 1996.

Rachel Stern, “Der Triumph der ‘entarteten Kunst’ über eine entartete Zeit”, in Aufbau, Vol. 62, Nr. 6, New York 1996, S. 1.

Jürgen Kisters, “Offener Himmel, tiefes Blau. Über den Maler Fritz Ascher”, unveröffentlichtes Manuskript, Köln 1993.

Vera Bendt, “Der Golem”, unveröffentlichtes Manuskript, Berlin 1993.

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Heinz Wyrwich, “In Vergessenheit geraten? Ölbilder und Gouachen von Fritz Ascher” in Sindelfinger Zeitung, März 1980.

Sepp Huttenlauch, “Sehnsucht nach Licht und Freiheit” in Böblinger Zeitung, März 1980.

Joachim M. Goldstein, “Fritz Ascher wird ein grosser Künstler”, in Berliner Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Berlin, 13 June 1969, S. 11.

“Das Naturerlebnis. Landschaftsbilder bekannter Künstler” in Der Morgen. Tageszeitung der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands“, Berlin no. 240, 14 October 1947, S. 3.

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“Fritz Ascher” in Dresslers Kunsthandbuch, Berlin 1930, Vol. 2, S. 24.

“Fritz Ascher” in Handbuch des Kunstmarktes. Kunstadressbuch für das Deutsche Reich, Danzig und Deutsch-Österreich, Berlin 1926, S. 283.

Georg Tinat, “Juryfreie Kunstschau Berlin 1924” in Sächsische Malerzeitung, Dresden, 14 Dezember 1924, S. 567.