Kunststück

Wiebke Hölzer

Die Masse stürmte um ihn her. / Starr, stumm, in sich blieb er versunken.« So beginnt das von dem Berliner Künstler Fritz Ascher verfasste Gedicht »Bajazzo«. Die Zeilen umschreiben treffend das Sichtbare auf seinem gleichnamigen Ölgemälde: Starr und wie in einem Sturm aus farbigen Pinselstrichen schreitet der Bajazzo, also die italienische Clownsfigur, nach links gewandt von einer abstrakt gehaltenen Umgebung ins Dunkel. Als erste Körperform nimmt der Betrachter den Kopf wahr, während der Rest des Körpers mit dem Hintergrund verschmilzt.

Zwar reduziert Ascher die Mimik der Figur, aber gestaltet sie gleichzeitig ausdrucksstark – der Mund vermittelt das Gefühl von Traurigkeit und die Augen in Form schwarzer Höhlen symbolisieren als Spiegel der Seele das leere, einsame Innere. Die Gefühlswelt und statische Haltung des Clowns stehen in deutlichem Gegensatz zu den kräftigen Farben Orange-Rot, Gelb und Grün und den irrenden Linien auf der Leinwand.

Doch wer ist der Maler, der hier seine Spontaneitat und Geschwindigkeit beim Arbeiten zum Ausdruck bringt? Fritz Ascher wird am 17. Oktober 1893 als Kind jüdischer Eltern in Berlin geboren. Nach der Schule absolviert er auf Empfehlung Max Liebermanns sein Künstlereinjähriges an der Königsberger Kunstakademie. Zurück in Berlin, bildet sich Ascher grösstenteils autodidaktisch weiter. Aus dieser frühen Schaffensphase blieben vor allem Zeichungen erhalten.

Ab 1933 leidet seine Familie unter der Schikane und Verfolgung durch die Nationalsozialisten, obwohl sie zum christlichen Glauben übergetreten war. Rückblickend erinnert sich Fritz Ascher in seinem Antrag auf Wiedergutmachung: »Meine Tätigkeit als Kunstmaler – ich galt als Expressionist [… ] wurde jäh durch das Aufkommen des Nationalsozialismus unterbrochen, da man mir vorwarf, zu den sogenannten entarteten Künstlern zu zahlen. Darüber hinaus setzte die Nazi-Verfolgung auch gegen meine Person schon im Jahr 1934 ein, so dass ich bereits in diesem Jahre meine Wohnung in Zehlendorf verlassen musste und mich praktisch seit dieser Zeit, wenn auch nicht versteckt, so doch regelmässig an wechselnden Orten aufhielt, weil ich vor den Anfeindungen und evtl. Verfolgungen Angst hatte.« Er wird in der Reichspogromnacht verhaftet und für fast zwei Monate im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Kurze Zeit später wird er erneut festgenommen und in das Polizeigefängnis Potsdam gesperrt, auch hier helfen ihm enge Freunde aus der Haft. Weitere Repressalien folgen und kurz vor seiner Deportation gelingt es Ascher dank der Hilfe Martha Grassmanns – einer engen Freundin der Familie -, in einer ausgebombten Villa im Grunewald unterzutauchen und so zu überleben.

Die Zeit im Versteck und die damit verbundene, dauerhafte Angst, entdeckt zu werden, haben starke Auswirkungen auf Aschers psychischen und physischen Zustand, die er Zeit seines Lebens nie überwinden kann. Deshalb lebt er nach Kriegsende sehr zurückgezogen und nimmt nur selten an Ausstellungen teil. Aus diesem Grund bleibt sein Schaffen der Öffentlichkeit bis zu seinem Tod am 26. März 1970 und darüber hinaus weitgehend unbekannt. Dies zu ändern ist das Anliegen der ersten dem Künstler gewidmeten Retrospektive »Leben ist Glühn. Der Expressionist Fritz Ascher«. Beginnend im letzten Jahr in Osnabrück, ist sie derzeit in den Kunstsammlungen Chemnitz, Museum Gunzenhauser zu sehen (bis 18. Juni). Danach reist sie nach Potsdam und Berlin.

Während Aschers früher Schaffensphase erfreut sich der Bajazzo einer wachsenden Popularität, die bereits 1892 einsetzt: In diesem Jahr wird die von Ruggero Leoncavallo komponierte Oper »Pagliacci« in Mailand uraufgeführt und verhilft so ihrem Protagonisten zu weltweitem Ruhm. Die Handlung der zweiaktigen Oper ist schnell beschrieben: Der Bajazzo wird von seiner Frau mit einem Kollegen aus der Schauspielertruppe betrogen. Er ahnt die Liaison und rächt sich an ihnen auf der Bühne vor dem Publikum, indem er beide ersticht. Die Zuschauer erkennen erst spät die Realität des Dramas, das sich vor ihren Augen abspielt. Neben dem 1914 produzieren Film »Lache, Bajazzo« des Regisseurs Richard Oswald lieben die Berliner vor allem Bühnenaufführungen des Stückes. Eines der wenigen Gastspiele des Opernstars Enrico Caruso in der Rolle des Bajazzo ist innerhalb kurzer Zeit ausverkauft. Ein Kritiker zieht im Berliner Börsen-Courier das Resümee: “Die Erwartung ist gestillt. Wir haben ihn – wir haben diesen seltenen an suggestiver Macht unerreichten Ton Carusos in der Seele und sind erlöst.”

Das Bühnenstück regt Fritz Ascher zu insgesamt 15 heute noch bekannten Arbeiten an. Mal visualisiert er den Mord als Höhepunkt der Handlung, mal sind es die Gefühle des Clowns, die in dessen schmerzverzerrter Mimik und expressiver Gestik Ausdruck finden. Hierbei zeigt sich das Interesse des Malers an einsamen, innerlich zerrissenen und dramatischen Gestalten. Ausserdem fertigt Ascher eine Reihe von Lithografien an, welche die verschiedenen Szenen der Oper aufgreifen. Allerdings ging die Serie nie über Probedrucke hinaus. Indem Ascher dieses Sujet verarbeitet, orientiert er sich wie viele andere Künstler an der blühenden Unterhaltungskultur. Neben dem Bajazzo, den er sowohl in seinem Früh- als auch Spätwerk thematisiert, greift er Theaterstücke wie Gerhart Hauptmanns »Die Weber« und William Shakespeares »König Richard II.« auf. Aber auch das Drumherum einer solchen Aufführung begeistert ihn, wie sich in Skizzen des Publikums oder des Orchesters zeigt.

Den Titel vergibt Fritz Ascher selbst an das Gemälde, indem er die Rückseite der Leinwand neben seiner Signatur mit »Bajazzo« versieht. Noch im Entstehungsjahr 1924 ist die Arbeit auf der Juryfreien Kunstschau im Landesausstellungsgebäude am Lehrter Bahnhof in Berlin zu sehen. Der Journalist Georg Tinat lobt das Kunstwerk in seiner Ausstellungsbesprechung in der Sächsischen Malerzeitung als »beachtenswert« und charakterisiert den Künstler als einen »guten Expressionisten, welcher in den harten Formen seiner Ausdruckskunst Besonderes schafft«.

Die expressiven Pinseltupfen und -striche fügt Ascher allerdings erst knapp 20 Jahre nach Entstehen der Arbeit hinzu und reagiert damit unmittelbar auf das Erlebte im Nationalsozialismus. In seinem CEuvre gibt es sechs weitere Beispiele auf Papier und Leinwand, bei denen durch die nachträgliche Bearbeitung die klare Form des Gezeigten verschwimmt. Bringt man diesen Prozess mit Aschers Biografie in Verbindung, sind für ihn die klaren Linien seiner Umwelt während der Zeit im Versteck so stark ins Wanken geraten, dass sie Zeit seines Lebens nicht mehr in diese Ausgangsform zurückfindet. Auf dieser persönlichen Ebene lässt sich auch das Gemälde »Bajazzo« interpretieren: Isolation, Einsamkeit und innere Leere umgeben Fritz Ascher bis zu seinem Tod. Vor diesem Hintergrund lesen sich die Schlusszeilen eines weiteren Bajazzo-Gedichts nahezu autobiographisch: »Pein krampft zu Schmerz, / die Seele weint. / Und Tod und Trauer / schleichen.«

Wiebke Hölzer ist Kunsthistorikerin mit Schwerpunkt Moderne und befasst sich seit vier Jahren im Auftrag der Fritz Ascher Society for Persecuted, Ostracized and Banned Art mit dem Werk Aschers.

English Translation:

“The multitude swirled around him./ Stiff, silent, he remained lost in himself.” Thus begins the poem “Bajazzo,” by Berlin artist Fritz Ascher. The lines aptly describe what is visible in the oil painting of the same name: stiff and surrounded by a riot of colorful brushstrokes, Bajazzo, the Italian clown character, turns to the left and steps out of an abstract environment into darkness. His head is the first part of the body that the viewer discerns, while the rest of his body melts into the background.

Though Ascher scales down the character’s countenance, he also fills it with expression—the mouth conveys a sense of sadness, and the eyes take the form of black hollows, symbolizing the empty desolation inside, a reflection of his soul. The emotional state and static posture of the clown clearly clash with the vibrant red-orange, yellow, and green colors and the errant lines on the canvas.

Indeed, who is this painter, whose spontaneity and celerity are expressed in his work? Fritz Ascher was born to Jewish parents in Berlin on October 17, 1893. After completing school, he was trained at the Königsberg Art Academy, on Max Liebermann’s recommendation. Back in Berlin, Ascher’s education continued in large part autodidactically. From his early creative phase, it is primarily his drawings that remain.

Although they had converted to Christianity, his family suffered harassment and persecution at the hand of the National Socialists, beginning in 1933. Looking back, Fritz Ascher recalled in his application for reparation, “My occupation as a painter—I was considered an Expressionist […] abruptly ground to a halt with the rise of National Socialism, and I was accused of being one of the so-called degenerate artists. In addition, Nazi-persecution of me personally began as early as 1934, such that I had to leave my apartment in Zehlendorf that year and change locations regularly, or even hide, because I was afraid of the hostilities and potential persecution.” He was arrested during the Night of Broken Glass and detained in the Sachsenhausen concentration camp for nearly two months. A short time later, he was arrested again and locked in the Potsdam police prison, where close friends helped to get him released. Additional repressive measures followed, and shortly before his deportation, Ascher managed to go into hiding in a bombed-out villa in Grunewald, thanks to Martha Grassmann, a close friend of the family, where he survived the war.

His time in hiding and the associated constant fear of being discovered had powerful effects on Ascher’s mental and physical state, which he would not be able to overcome for the rest of his life, which is why he lived rather reclusively after the war ended and took part in exhibitions only rarely. Because of this, his work remained largely unknown to the public, until his death on March 26, 1970, and even beyond. The first retrospective devoted to the artist, “Leben ist Glühn. Der Expressionist Fritz Ascher” [To Live Is To Blaze with Passion/The Expressionist Fritz Ascher], aims to change that. Beginning last year in Osnabrück, the exhibition is now on view at the Kunstsammlungen Chemnitz’s Gunzenhauser Museum (until June 18), after which it will travel to Potsdam and Berlin.

During Ascher’s early period, Bajazzo’s popularity had been growing since 1892, when Ruggero Leoncavallo’s opera Pagliacci premiered in Milan and set its protagonist on a path to global fame. The plot of the opera is quickly outlined: Bajazzo’s wife betrays him with a colleague from the acting troupe. He suspects the liaison and takes his revenge on-stage in public, by stabbing them both. The audience realizes too late the reality of the drama unfolding before their very eyes. Besides the 1914 film by director Richard Oswald, Lache, Bajazzo [Laugh, Bajazzo], Berliners particularly love stage performances of the play. One of the few guest performances by opera star Enrico Caruso in the role of Bajazzo quickly sold out. One reviewer summed it up in the Berliner Börsen-Courier, “The anticipation is over. We have it—we have Caruso’s rare sound, unrivalled in suggestive power, in our souls, and we are redeemed.”

The play inspired Ascher to paint a total of 15 works still known today. In some he visualized the murder as the climax of the plot, and in others it is the clown’s emotions that are expressed in his pain-wracked countenance and expressive gestures. In them, the artist’s interest in lonely, dramatic, and internally torn characters is evident. Ascher also completed a series of lithographs depicting various scenes from the opera, though they never made it past the test print. By working with this subject, Ascher, like many other artists, oriented himself in the flourishing culture of entertainment. Besides Bajazzo, who appeared in his early as well as his later work, Ascher addressed plays such as Gerhart Hauptmann’s Die Weber [The Weavers], and William Shakespeare’s King Richard II. Even the trappings of such a performance inspired him, as seen in his sketches of the audience or the orchestra.

Ascher named the painting himself, by adding “Bajazzo” next to his signature on the back of the canvas. The piece was already displayed in 1924, the year it was created, at the Juryfreie Kunstschau (jury-free art exhibition,) in the state exhibition hall at Berlin’s Lehrte Station. Journalist Georg Tinat praised the piece in his review of the exhibition, in the Sächsische Malerzeitung (Saxon art newspaper), as “remarkable” and characterized the artist as a “fine Expressionist, who creates something spectacular in the stark forms of his expressive art.”

Ascher did not add the expressive flecks and brushstrokes until 20 years after he originally painted the piece, as a direct response to his experience with the Nazis. There are six additional examples on paper and canvas in his body of work, in which subsequent manipulations blurred the clear form of the subjects portrayed. When this process is associated with Ascher’s biography, the clear lines of his environment during his time in hiding unravel to such a massive degree that it never finds its way back to this original form. Bajazzo can also be interpreted on this personal level: isolation, loneliness, and inner emptiness enveloped Fritz Ascher until the day he died. Against this backdrop, the closing lines of another Bajazzo poem read almost autobiographically: “Anguish convulses into pain, / the soul weeps. / And death and sorrow / lurk.”

Wiebke Hölzer is an art historian specializing in Modernism, who has focused on Ascher’s work for the last four years, on behalf of the Fritz Ascher Society for Persecuted, Ostracized and Banned Art.