Main-Echo, 12/13 May 2018
»Nach dem Naziterror ein veränderter Mensch«
Rachel Stern: Die New Yorker Kunsthistorikerin hat eine Fritz-Ascher-Schau im Wertheimer Schlösschen eingerichtet – Sonntag Eröffnung
by Bettina Kneller
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Ihre Leidenschaft hält bis heute an. Wenn sie vor seinen Bildern steht und erläutert, was sie an ihnen schätzt, ist Rachel Stern ganz in ihrem Element. Dabei ist Fritz Ascher (1893 bis 1970) längst tot. Sein Schicksal aber und die Bilder, die er gemalt hat, sind Sterns Lebensaufgabe geworden.
2014 hat sie die Fritz-Ascher-Society gegründet, die sich nicht nur Aschers Erbe, sondern noch anderen verfolgten, verfemten Künstlern der verschollenen Generation widmet und die Erinnerung an sie wach hält.
Mit Aschers Bildern hat die Kunsthistorikerin und Direktorin der Fritz-Ascher-Society jetzt eine Ausstellung im Wertheimer Schlösschen im Hofgarten eingerichtet und sie den Bildern der Wolfgang-Schuller-Sammlung gegenübergestellt. Am Sonntag wird die Schau »Leben ist Glühn« eröffnet. Unsere Redaktion hat die Ascher-Expertin im Vorfeld in Wertheim getroffen.
Wie lief es denn ab, dass Sie den Künstler wiederentdeckt haben?
Das ist eine lange Geschichte. Seine Kunst habe ich eigentlich vor 30 Jahren schon wiederentdeckt, und diese Kunst hat mich nicht losgelassen. Aber es war wenig bekannt über den Menschen und seine Lebensgeschichte. Ich habe damals in Berlin an Türen ehemaliger Adressen geklingelt, aber das hat nicht so viel gebracht. Erst durch Anzeigen in Zeitungen konnte ich ehemalige Hausbewohner, Freunde und Bekannte finden. Jedes Gespräch mit Menschen, die ihn noch selbst gekannt und erlebt hatten, machte mir den Menschen Fritz Ascher vertrauter. Und ich erfuhr von immer mehr Kunstwerken.
Dann bin ich nach New York gezogen, und das hat meine Arbeit an Ascher für viele Jahre unterbrochen. Erst 2010 habe ich sie wieder aufgenommen. Seitdem konnte ich viele Verbündete finden, die mir geholfen haben, die Retrospektive zu realisieren.
Warum ist Fritz Ascher während der Nazizeit verfolgt worden?
Fritz Ascher war Jude. Seit 1933 durfte er nicht mehr als Künstler arbeiten, ausstellen oder verkaufen. Er ist auf der Flucht, wechselt dauernd seine Adressen. Während der Novemberpogrome 1938 wird er in Potsdam verhaftet und im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert. Nach sechs Wochen wird er ins Polizeigefängnis Potsdam gebracht. Im Mai 1939 wird er entlassen. Weil der befreundete Anwalt Grassmann sich für ihn eingesetzt hat. Danach steht Ascher unter Polizeiaufsicht. Er muss sich nun einmal wöchentlich melden bei der Gestapo und dreimal wöchentlich beim lokalen Polizeirevier. 1942 warnt ihn der Polizeiobermeister Wolber vor der Deportation – die Listen hatte er schon vorliegen. Das war Aschers Rettung. Er konnte untertauchen. Die Familienfreundin Martha Grassmann riskierte ihr Leben. Sie versteckte ihn drei Jahre lang in ihrem Keller in Berlin – bis der Naziterror zu Ende war. In der Zeit konnte Ascher nicht malen. Stattdessen schrieb er Gedichte.
Und wie ging es nach dem Krieg weiter für Ascher? Hat er wieder Fuß gefasst?
Nach dem Naziterror war er ein veränderter Mensch. Er zog bei Martha Grassmann ein, die sich bis an sein Lebensende um ihn kümmerte. Kontakte zur Außenwelt gab es nur wenige. Er stürzte sich nun in seine Arbeit. Seine Kunst veränderte sich drastisch.
Inwiefern?
Seine Bilder nach 1945 sind Seelenbilder. Während der Weimarer Republik schuf er komplexe Figurendarstellungen. Humorvoll und kritisch hielt er das Berliner Gesellschaftsleben fest. Beethoven beschäftigt ihn genauso wie der tragische Clown Bajazzo. Während des ersten Weltkrieges entstehen Inferno-Darstellungen. Er setzte sich immer mehr mit existenziellen Fragen auseinander. Ascher überrascht uns mit höchst eigenwilligen Bildinterpretationen mystischer, christlicher und religiöser Inhalte, wie »Golgatha« und »Der Gequälte«. Oft geben uns diese Bilder Rätsel auf.
Nach der Verfolgung durch die Nazis übermalte er zunächst Vorhandenes. Aber schon bald wandte er sich der Landschaft zu. Dem Expressionismus blieb er treu. Aber nun arbeitete er mit erneuerter Direktheit und Dringlichkeit. Er arbeitete schnell, fast ekstatisch, und vereinfachte dramatisch Formen und Medium. Die Bäume, die er nun malt, die Landschaften, da ist er selbst immer wieder durchgewandert. Stundenlang lief er durch den nahegelegenen Grunewald. Diese Arbeiten zeigen neues Vertrauen und Lebensoptimismus. Je länger ich die Bäume betrachte, desto mehr werden sie zu stehenden Figuren, die uns konfrontieren.
Was zeichnet die Schau in Wertheim besonders aus?
In Wertheim werden Aschers Arbeiten das erste Mal zusammen mit den Arbeiten seiner Lehrer Max Liebermann, Lovis Corinth, Ludwig Dettmann und Kurt Agthe gezeigt. Die hochkarätige Schuller-Sammlung macht das möglich. Das ist etwas ganz Neues und Besonderes. Fritz Aschers gesamtes Werk ist in fast 70 Werken zu entdecken. Die intimen Räume des Wertheimer Schlösschens erlauben ein sehr direktes Erleben dieser Arbeiten.
Und was wünschen Sie sich noch für Ascher?
Ich wünsche mir, dass Aschers Bekanntheitsgrad ein Niveau erreicht, das der Bedeutung seiner Arbeiten entspricht. Es gibt noch so viel zu entdecken. Und jeder Partner und jede Ausstellung bringt neue Erkenntnisse.
Sonntag, 13. Mai, 11.30 Uhr Ausstellungseröffnung »Leben ist Glühn – der Expressionist Fritz Ascher (1893 – 1970)«; bis 9. September im Schlösschen im Hofgarten Wertheim, Würzburger Straße 30 geöffnet Dienstag bis Samstag 14 bis 17 Uhr, Sonn- und Feiertag 12 bis 18 Uhr.