MuseumsJournal Berlin & Potsdam 1 (January – March 2018), pp. 22-24
Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte / Museum Charlottenburg-Wilmersdorf
Leben ist Glühn. Der deutsche Expressionist Fritz Ascher
10. Dezember 2017 bis 11. März 2018
by Jutta Götzmann and Sabine Witt
Der spätexpressionistische Künstler Fritz Ascher (1893-1970), dessen Werke sich heute in vielen Privatsammlungen im In- und Ausland befinden, überlebte zwei Weltkriege und die Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Sein Schicksal ist exemplarisch für zahlreiche vielversprechende Karrieren der sogenannten verlorenen Generation. In Gemälden, Papierarbeiten und Gedichten entwickelte Ascher seine starke und einzigartige künstlerische Stimme. Erstmals stehen nun Kunst und Biographie Fritz Aschers im Zentrum einer umfassenden monografischen Werkschau. Sie umspannt Aschers Werk von den ersten Studienzeichnungen über expressive Figurenkompositionen der Weimarer Zeit bis zu seinen späten Grunewald-Landschaften. Die Ausstellung ist eine Kooperation mit der Fritz Ascher Society for Persecuted, Ostracized and Banned Art, New York (Fritz-Ascher-Gesellschaft für verfolgte, verfemte und verbotene Kunst) und erstreckt sich zeitgleich über zwei Standorte: das Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte und das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim.
Fritz Hermann Ascher wurde am 17. Oktober 1893 in Berlin geboren. Sein künstlerisches Talent zeigte sich bereits früh. Als Sechzehnjähriger studierte er bei Max Liebermann, der ihn für die Kunstakademie in Königsberg empfahl. Ab 1913 arbeitete Ascher als unabhängiger Künstler in Berlin, umgeben von Kollegen wie Ludwig Meidner, Jakob Steinhardt und Emil Nolde. Während eines längeren Bayern-Aufenthalts trat er in Kontakt zu den Mitgliedern des „Blauen Reiters“ und freundete sich mit dem Künstlern des satirischen Wochenmagazins „Simplicissimus“ an, zu denen unter anderen Alfred Kubin, George Grosz und Kaethe Kollwitz gehörten. Mit der Machtübernahme Adolf Hitlers veränderte sich Aschers Leben dramatisch. Bereits 1933 wurde er der NSDAP als politisch verdächtig gemeldet, er erhielt als jüdischer und „entarteter“ Künstler Berufsverbot. Aus Angst vor Verfolgung wechselte Ascher in Berlin und Potsdam mehrfach seinen Aufenthaltsort. Ab 1934 versteckte er sich in Pensionen und Privatunterkünften zunächst in Steinstücken, später in Neubabelsberg. An seinem letzten Wohnort, einer Pension in Babelsberg, wurde Ascher am 9. November 1938 durch die Staatspolizei in Potsdam gefangen genommen und in das KZ Sachsenhausen überstellt. Auf Betreiben des befreundeten Anwalts Gerhard Grassmann kam er kurzfristig frei, wurde jedoch am 2. Januar 1939 erneut im Potsdamer Polizeigefängnis interniert. Nach Monaten erfolgte seine Entlassung unter Auflagen. Der im Mai 1942 drohenden Deportation entging Ascher durch seine Flucht in die Wohnung von Martha Grassmann in Berlin-Grunewald. Die Mutter seines 1941 verstorbenen Freundes Gerhard Grassmann sicherte Aschers überleben in der Illegalität. Als verfolgter und mittelloser Künstler fand Ascher – durch die Jahre der Flucht und des Verstecks traumatisiert – nach dem Krieg nur langsam zu künstlerischer Betätigung zurück.
Durch die Initiative der amerikanisch-deutschen Kunsthistorikerin Rachel Stern wurde das Werk des expressionistischen Künstlers aufgearbeitet und in der öfentlichen Wahrnehmung verankert. Zu diesem Zweck gründete Stern 2014 die Fritz-Ascher-Gesellschaft für verfolgte, verfemte und verbotene Kunst. Seit einem Jahr wandert die erste dem Künstler gewidmete Retrospektive „Leben ist Glühn. Der deutsche Expressionist Fritz Ascher“ durch Deutschland. Beginnend 2016 im Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück war sie danach im Museum Gunzenhauser der Kunstsammlungen Chemnitz zu sehen. Mit der Kooperation zwischen dem Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte und dem Museum Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim kommt das Werk Aschers an seinen Entstehungsort zurück. Beide Ausstellungen haben den Werkkomplex und den künstlerisch-biographischen Schwerpunkt erweitert sowie Aschers Gedichte – sein einziges Ausdrucksmittel in den Jahren der Verfolgung – dem bildkünstlerischen Werk zur Seite gestellt.
Das Potsdam Museum setzt einen besonderen Fokus auf das expressionistische Frühwerk von Fritz Ascher, das in den Jahren zwischen 1909 und 1933 entstand. Ascher erhielt seine Ausbildung an der Kunstakademie Königsberg sowie an den Berliner Privatschulen von Lovis Corinth, Adolf Meyer und Curt Agthe. Schon als junger Mann war Ascher aktiv in den Netzwerken der Avantgarde, kannte viele berühmte Künstler persönlich und wurde von der Kunstwelt als äusserst talentiert wahrgenommen. Seine künstlerische Karriere fand mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ihr erzwungenes Ende. Aschers Frühwerk ist sehr facettenreich in den Themen, den verwendeten Techniken und der Malweise. In der Ausstellung entsteht ein faszinierenden Spannungsfeld zwischen kleinen intimen Bleistiftzeichnungen und grossformatigen, vielfarbigen Figurenkompositionen, zwischen Porträts und biblischen Szenen, Charakter- und Milieustudien oder zwischen Darstellungen von literarischen und allegorischen Figuren. Das Spektrum reicht von frühen Porträtstudien von Max Liebermann über eine Grafikserie zu Ludwig van Beethoven, den er als Komponisten sehr schätzte, bis zu religiösen Themen. So hat sich Ascher in seinem Werkkomplex „Golgatha“ abseits der ikonographischen Tradition zeichnerisch und malerisch mit der Kreuzigung Christi auseinandergesetzt. Eindrucksvoll sind seine Grafiken von 1916, mit denen sich Ascher auf die 1892 von Ruggero Leoncavallo komponierte Oper „I Pagliacci“ bezieht. Die Oper erfreute sich grosser Beliebtheit, nicht zuletzt deshalb, weil die Hauptfigur Canio vom erfolgreichen Tenor Enrico Caruso gesungen wurde, auch mehrfach in der Berliner Oper.
Ascher haben die szenischen Darstellungen des zweiaktigen Stücks in ihrer Tragik ebenso bildlich inspiriert wie die Gefühlswelt der Figur des Bajazzo, den er zum Gegenstand seiner Einzelbildnisse wählte. Mit intensiven Farben und ausducksstarken Formen werden die Emotionen des Clowns verdeutlicht, der andere zum Lachen bringt, während er selbst innerlich weint. Das Motiv des Clowns, des Harlekins – im beginnenden 20. Jahrhundert häufig Identifikationsfigur für den bildenden Künstler – wird in der besonderen Ambivalenz Aschers zum Synonym des eigenen Ich.
1933 bedeutete eine jähe Zäsur in der Biografie und im künstlerischen Schaffen Aschers. Zu malen oder zu zeichnen war ihm unter den Bedingungen von Verfolgung, Haft und ab 1942 im Versteck nicht möglich. Ein Grossteil seiner Werke, die Ascher in Sicherheit gebracht hatte, wurde durch das Kriegsgeschehen im April 1945 zerstört. Aber auch „zwölf Jahre meines künstlerischen Schaffens sind mir verloren gegangen“, beklagte Ascher.
Schwer traumatisiert, wandte sich Ascher unmittelbar nach Kriegsende wieder der Malerei zu. Zunächst überarbeitete er mehrere Gemälde, darunter eine Walddarstellung von 1920. In pointillistischer Manier überzog er sie mit Farbtupfern, die das Motiv in intensivem Farbflimmern auflösen und abstrahieren. Später kehrte Ascher zur Gegenständlichkeit zurück, wählte nun aber gänzlich andere Themen: Blumen, vor allem Sonnenblumen, in einer teils gedeckten Farbpalette, teils intensiv leuchtend, Hügellandschaften in wechselndem Licht, mal mit farbglühenden, mal eher fahlen Sonnen und Monden und vor allem Bäume. Anregungen dazu fand er in der Umgebung seines Wohnorts und im nahe gelegenen Grunewald. Auch die künstlerische Umsetzung der Motive ist eine andere als vor 1933: Deutlich direkter, dabei reduzierter und verhaltener komponierte er die Landschaften oder Baumgruppen im Atelier. Nur wenige Motive lassen sich so konkret lokalisieren wie das Jagdschloss Grunewald. Meist handelt es sich um atmosphärische Seelenlandschaften, in denen sich die Gefühls- und Erfahrungswelt eines zutiefst verunsicherten, menschenscheuen Künstlers spiegeln. Nachdem die Galerie Buchholz und das Kunstamt Wilmersdorf 1946/47 Werke von Fritz Ascher gezeigt hatten, war der Künstler erst 1969 wieder zu einer Ausstellung in der Galerie Rudolf Springer bereit. Mehr als 45 Jahre später wird Fritz Ascher nun mit einer umfassenden Retrospektive gewürdigt.