Ein Zerrissener

Das Potsdam Museum entdeckt Fritz Ascher, der sich in Potsdam vor den Nazis versteckte

by Lena Schneider

Wer war Fritz Ascher? Das Potsdam Museum hat diesem Unbekannten eine Sonderausstellung gewidmet. „Leben ist glühn“ heißt sie. Ein Bild, das hier hängt, kann man als bestürzende Antwort auf die Frage lesen. „Bajazzo“ heißt es, nach dem italienischen Bruder des Harlekin. Zu sehen ist eine schemenhafte Gestalt, in gelbem Kostüm. Im weiß geschminkten Gesicht ist so etwas wie ein trostloser Schatten des Clownsgenres auszumachen: schwarze Augen, die rot überzogen Mundwinkel krümmen sich nach unten. Das ganze Bild ist wie zerschossen von Farbpunkten.

Die Antwort darauf, wer Fritz Ascher, geboren 1893 als Kind jüdischer Eltern, war, findet sich im Entstehungsdatum des Bildes: 1924/1945. Durch Leben und Werk des Spätexpressionisten verläuft ein Graben. Es gibt den Fritz Ascher vor 1933 und den Fritz Ascher danach. Der junge malt figürlich. Der späte hat das Vertrauen in die Figürlichkeit verloren. Der junge malt Bajazzos, und in der Maske des Clowns wohl auch sich selbst. Der späte wird Landschaften malen, er wird die Menschen meiden. Der „Bajazzo“ von 1924 ist nach dem Krieg für Ascher offenbar nur noch verfremdet erträglich. Fritz Ascher war ein Zerrissener.

Der junge Fritz steht im Vordergrund

Die Ausstellung im Potsdam Museum konzentriert sich vor allem auf den jungen Fritz Ascher, auf die ungeheure Körperlichkeit seiner Figuren, die beinahe hämische Farbigkeit von Werken wie „Beerdigung“, entstanden im Nachkriegsjahr 1919. Im Berliner Museum Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim ist zeitgleich eine Schau mit dem gleichen Titel zu sehen, wo vor allem nach 1945 entstandene Werke gezeigt werden. Wer „den ganzen Ascher“ entdecken will, so sagen die Direktorinnen Jutta Götzmann und deren Berliner Kollegin Sabine Witt, der muss beide Schauen sehen. Auch den beiden Kunsthistorikerinnen war der Künstler unbekannt, bis Rachel Stern, die New Yorker Direktorin der Fritz Ascher Gesellschaft für Verfolgte, Verfemte und Verbotene Kunst bei ihnen anklopfte. Die von Stern initiierte Schau war, in anderen Formen, bereits in Osnabrück und Chemnitz zu sehen.

Fritz Ascher wächst in einer Villa in Berlin-Zehlendorf auf, bekommt Unterricht von Max Liebermann, studiert an der Kunstakademie in Königsberg und lebt in den 1910er Jahren als freier Künstler in Berlin. Der junge Ascher malt figürlich – und enorm vielfältig. Bleistift- und Tuschezeichnungen, aber auch großformatige, farbsatte Ölgemälde. Wie in „Golgatha“, entstanden 1915. Den Berg, auf dem Jesus von Nazareth gekreuzigt wurde, hält Ascher hier in ungewöhnlicher Perspektive fest: vom Fuße her. Drei Kreuze und eine trauernde Maria sind schemenhaft im Hintergrund zu sehen. Der Großteil des Bildes ist gefüllt von einer bunten Masse Mensch: Frauen, Kinder, Junge, Greise, die als Schaulustige den Kreuzigungen beiwohnen. Einige lamentierend, andere plaudernd. In diese Masse hinein stürmt ein Reiter, der die Masse zurückzudrängen scheint: Longinus, jener römische Soldat, der erst Jesus die Lanze in die Seite stach und dann dessen Körper verteidigte. Am unteren Bildrand streben ein Moslem und ein Jude auseinander. Der Jude winkt dem Betrachter zu, lächelnd. Der Himmel dahinter strahlt sonnengelb wie die Blumen von van Gogh.

November Revolution 1918 in Zeichnungen

Van Goghs Sonnenblumen werden auch in Fritz Aschers Werk auftauchen, viel später allerdings, und viel düsterer, vor tiefgrauem Himmel. Noch ist Ascher jung, befreundet sich mit den Künstlern der Brücke und des „Simplicissimus“, hält die November Revolution 1981 in Zeichnungen fest. Die pathethischen Gesten, aber auch die rohe Gewalt in den Straßenkämpfen. Im Potsdam Museum hängen die Zeichnungen der Novemberrevolution Golgatha gegenüber: zwei Spielarten einer Massenbewegung.

1933 wird alles anders. Ascher beginnt, häufig den Wohnort zu wechseln, ab 1934 versteckt er sich an verschiedenen Orten in Potsdam. Im letzten der nur vier Räume sind diese Orte aufgelistet: die damalige Pension Jäger in der heutigen Karl-Liebknecht-Straße 71, in Steinstücken „bei Lindner“, in Steinstücken „bei Kröhling“, in der Babelsberger Lessingstraße „bei Juch“, in Babelsberg in der Pension Anna Polte. Letzte Station: Polizeigefängnis Priesterstraße. Hier saß Ascher 1939 für einige Monate ein. Heute ist von diesem Ort nichts mehr zu sehen, und bis vor kurzem wusste niemand, dass es dort, in der heutigen Henning-von Tresckow-Straße, überhaupt ein Gefängnis gegeben hatte. Die Stiftung der Gedenkstätte Lindenstraße will dem abhelfen und nimmt die Schau zu Fritz Ascher zum Anlass für eine Werkstattschau zur Geschichte des Gefängnisses in der Priesterstraße. Kommende Woche wird sie eröffnet.

In den letzten Kriegsjahren: Versteckt bei Freunden

In den letzten drei Kriegsjahren ab 1942 lebte Fritz Ascher versteckt bei Freunden in Berlin-Grunewald, im Kartoffelkeller. Malen konnte er dort nicht. Also schrieb er sich von der Seele, was dort brannte. An den Wänden der Ausstellung sind die Gedichte zu lesen. Eines heißt „Bajazzo“: „Die Masse stürmte um ihn her./ Starr, stumm, in sich blieb er versunken./ Nur dieses Lächeln/ Was sich fand, sprach/ Alle Qual, die in ihm lag.“

„Leben ist glühn. Der deutsche Expressionist Fritz Ascher“, vom 10. Dezember bis 11. März 2018 im Potsdam Museum
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