“Leben ist Glühn” – Der Expressionist Fritz Ascher (1893 – 1970)

Ferdinand Dupuis-Panther

Das Felix-Nussbaum-Haus präsentiert das Werk des Berliner Expressionisten Fritz Ascher. Die umfangreiche Retrospektive mit ca. 80 Werken lädt zur Wiederentdeckung des ehemals verfemten und heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Künstlers ein. Sie umspannt mit einer repräsentativen Gruppe von Zeichnungen, Gouachen und Gemälden alle Schaffensphasen des Malers.

Fritz Ascher: Golgatha (1915) Öl auf Leinwand, Privatsammlung

Die aktuelle Schau ist chronologisch strukturiert, beginnend also mit dem Frühwerk und mit den späteren Arbeiten in den 1960er Jahren endend. Auffallend sind die aus Privatsammlungen stammenden Werke, wohl wissend, dass Ascher kaum öffentlich ausgestellt hat. Wie also sind diese Arbeiten in private Hände gekommen? Auch um die Biografie Aschers ranken sich viele Frage. So wurde er als Sohn eines jüdischen Erfinders und Unternehmers geboren, wuchs im Villenviertel von Berlin-Grunewald auf, wurde evangelisch getauft, nachdem sich der Vater von der jüdischen Gemeinde gelöst hatte, die Mutter aber bis in die späten 1920er Jahre noch Mitglied der jüdischen Gemeinde blieb. Seine Schwestern lebten in sogenannten privilegierten Mischehen – so die nationalsozialistische Diktion –, während Ascher selbst trotz des Übertritts in die evangelische Kirche „rassisch verfolgt“ und ins KZ Sachsenhausen gebracht wurde. Der Lagerhaft entkam er, musste aber in den Untergrund gehen und sich jahrelang in einem Kellerverschlag verstecken. Gewiss eine traumatische Zeit für den Künstler, der nicht mehr malen konnte, dafür aber zahlreiche Gedichte verfasste, die in Reprint in der Ausstellung gezeigt werden.

Fritz Ascher: Männerbildnis in Rot (1915), Mischtechnik auf Papier, Privatsammlung

Getauft und doch verfemt und verfolgt

, so fragt man sich, hatte den Vater des Künstlers zum Austritt aus der jüdischen Gemeinde veranlasst? Ahnte er, was da kommen sollte? Oder war nur so der Erfolg seines Unternehmens gesichert? Wollte er seine Kinder durch die Taufe vor Diskriminierung bewahren? Warum aber blieb Aschers Mutter der jüdischen Gemeinde verbunden? Welche Rolle spielte das Judentum überhaupt im Alltag Aschers?

Betrachtet man einige frühe Karikaturen, dann bedient er in diesen die Klischees und Stereotype, die in der nationalsozialistischen Propaganda gegen den „Geldjuden“ und die sogenannte jüdische Weltverschwörung zum Tragen kamen. Man betrachte dazu Aschers Männerbildnis im Profil: Hakennase, wulstige Lippen, feistes Gesicht und Backenbart – so die Darstellung – erinnern an Zeichnungen aus dem „Stürmer“, 1923 von Julius Streicher gegründet und in dessen Privatbesitz. Ziel des Wochenblatts war es u. a. die „Degeneration der nordisch-germanischen Rasse“ durch „Rassenschande“ anzuprangern, wozu jedes Mittel Recht war.

Auch der von Ascher gezeichnete „Dirigent“, der sich auf ein Pult lehnt, scheint einem Klischee zu entsprechen. Warum aber bediente sich Ascher dieser Stereotype? Grenzte er sich damit vom Judentum ab? Folgte er den antisemitischen Strömungen im Deutschen Reich? Wie stand er überhaupt als Judenchrist zum Judentum? Diese Fragen müssen offenbleiben, da Ascher, ein sehr zurückhaltender, beinahe menschenscheuer Künstler sich, soweit wir bisher wissen, nicht dazu geäußert hat.

Selbstporträt neben dem Bildnis von Liebermann

Aufgemacht wird die sehenswerte Schau mit einem Porträt des Künstlers in hellbraunem Anzug aus dem Jahr 1912. Dass Max Liebermann, der Nestor des deutschen Impressionismus und Gründer der Berliner Sezession, die künstlerische Laufbahn Aschers gefördert hat, ist in der Literatur verbürgt. So verwundert es nicht, dass Ascher seinen „künstlerischen Ziehvater“ 1910 in einer Gouache festgehalten hat. Liebermann sieht man in diesem Porträt als leidenschaftlichen Raucher.

Die Karikaturen, die Ascher anfangs seiner Karriere zeichnete, scheinen auch durch den Kontakt zum Satiremagazin Simplicissimus beflügelt worden zu sein, so auch die Zeichnung eines verweigerten Kusses in der Arbeit „Was ist paradox“. Die gespitzten Lippen der Damen finden keinen Partner. Betrachtet man Aschers „Fußballspieler“, so muss man unwillkürlich an die Milieustudien von Heinrich Zille denken.

Man sollte sich unbedingt Aschers Violinisten anschauen, den er 1913 schuf. Irgendwie kann es nicht möglich sein, dass der Geiger in der dargestellten Haltung sein Instrument beherrscht. Die Geige klemmt unter dem rechten Unterkiefer und wird mit der linken Hand gehalten, während die Rechte den Bogen führt. Zeigt die Arbeit den gescheiterten Künstler?

Bajazzo, Beethoven und der Vereinsamte

Bereits im Frühwerk befasste sich Ascher mit dem Bajazzo. Dieses Sujet taucht dann auch im Spätwerk ebenso wieder auf wie die Beethoven-Porträts. Dabei übermalte Ascher seine frühen Arbeiten mit gestischem Duktus, ließ den Farbpinsel auf die Leinwand niedergehen, sodass Flecken und flüchtig hingeworfene Striche entstanden. Action Painting könnte man diesen Stil vielleicht nennen, auch wenn die Art von Aschers Übermalungen nichts mit den Drippings eines Jackson Pollocks zu tun haben. Losgelöst und impulsiv erscheint die Malweise, und auch der Begriff des Manischen kommt dem einen oder anderen Betrachter unter Umständen in den Sinn.

Im Fokus von Aschers Werk stehen wie „Golgatha“ auch biblische Szene, und darin gleicht er streckenweise Emil Nolde und auch Christian Rohlfs. Ist der „Vereinsamte“, gemalt 1914, als Ascher 21 Jahre alt war, ein Selbstbildnis. Der Unbill der Natur – man betrachte den bedrohlich wirkenden Gewitterhimmel – ist der Entblößte ausgesetzt, schutzlos ausgesetzt. Sah sich Ascher in dieser Rolle des Marginalisierten?


Fritz Ascher: I Pagliacci (Der Clown) (1916), Mischtechnik auf Papier, Privatsammlung

Ascher der einsame Bajazzo?

Ist Ascher ein Narr oder ein sensibler Feingeist, der sich selbst doch vom Leben fernhielt und zum Beispiel nach dem Krieg nur eine einzige Ausstellung in einer Berliner Galerie in der Fasanenstraße zuließ? Liest man die Zeilen im Gedicht „Bajazzo“, meint man, Ascher habe sich mit dieser Clownsfigur identifiziert: „Narr, der ich bin / Topaz der Masse / Ihr blödes Lachen / Treibt mich her / Je toller wird mein Spiel=Grimasse …“. In den Gedichten spiegelt sich aber nicht nur die Rolle des Künstlers als Narr, so würde ich „Bajazzo“ interpretieren, sondern auch der Selbstzweifel wie in „Das Selbstbildnis“ wider: „Sein Selbst als Dichtung zu erleben / Erhebend und doch Wahrheit gleich – Erschein wohl als ein / Unternehmen, das wie / Absurd und auch nicht leicht …“. Noch eine weitere „Kostprobe“, die einen Blick ins Innenleben des Künstlers zu erlauben scheint: „ Kein Leben ohne Träne / Kein Sehnen ohne Schmerz / Durch Tiefen und durch Höhen / In Einsamkeit vescherzt …“.

Gewiss Ascher hat auch andere Verse verfasst, so über Edvard Munch und Käthe Kollwitz, die er beide sehr geschätzt hat, aber in vielen scheint sich das Innenleben während der Zeit im Untergrund widerzuspiegeln, selbst wenn man außerdem Gedichte wie „Herbstgefühl“ und „Frühlingswinde“ im dichterischen Werk Aschers findet.


Fritz Ascher: Untergehende Sonne (um 1960), Öl auf Leinwand, Privatsammlung

Sonnenuntergänge und …

Zu den späten Arbeiten Aschers gehören ein Bildnis des Pfeifchen rauchenden Max Pechstein, aber auch die bereits erwähnte „Übermalung“ des frühen „Bajazzo“. Diese Arbeit, 1924 begonnen und 1945 vollendet, zeigt den Bajazzo in flirrendem Neonlicht, so kann man die farbigen Lichtkleckse vielleicht deuten. Auch das Beethoven-Porträt, das ausgestellt ist, ist eine Melange von Farbklecksen und -punkten, aus denen man schemenhaft Beethoven „hervortreten“ sieht. Neben den Porträts, auch das einer Freundin wird gezeigt, sind es vor allem die Landschaften, mit denen sich Ascher nach 1945 beschäftigt hat.

Auf ausgedehnten Spaziergängen im Grunewald scheint Ascher seine Motive gesammelt zu haben. Dabei erscheinen die alten Kiefern dieses bekannten Berliner Forstes wie kompakte Träger und Säulen, die den Himmel zu stützen haben. Sehr flächig angelegt sind Aschers „Sonnenbilder“, in deren Mittelpunkt der Sonnenkreis steht. Mal in Rotstufen und mal in Grünnuancen sind diese Sujets von ihm auf Leinwand gebannt worden. Selten sind die klar identifizierbaren Orte in Aschers Werk, so der Selbstmörderfriedhof, das Waldmuseum, das Jagdschloss Grunewald oder die Siedlung Onkel-Toms-Hütte. Eher verweigert sich Ascher dieser Verortung.

So begleiten wir ihn auf seinen zahlreichen Streifzügen, die er nach Jahren der Isolation unternahm. Dabei beschleicht den Ausstellungsbesucher die Vermutung, dass es Ascher nach 1945 nicht gelang, im wirklichen Leben anzukommen. So wurde er (fast) vergessen. Nur gut, dass Osnabrück nicht die einzige Station ist, auf der die Arbeiten Aschers nun zu sehen sind.

Text © ferdinand dupuis-panther / Bilder von Fritz Ascher: © Bianca Stock, München 2016